Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten

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Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

20/24: Gedenken anlässlich der Befreiung des KZ Ravensbrück vor 79 Jahren - Ministerpräsident Woidke: Aus der Vergangenheit lernen heißt, einzustehen für Mitmenschlichkeit, Toleranz und ein friedliches Miteinander

14. April 2024

Nr.: 20/2024

In der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück wurde am heutigen Vormittag mit einer Gedenkveranstaltung an den 79. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück erinnert. An der Veranstaltung nahmen mehr als 500 Gäste aus dem In- und Ausland teil, unter ihnen sechs Überlebende des KZ Ravensbrück aus Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Israel und Polen. Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke und zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von Opferverbänden, Organisationen, Parteien und des diplomatischen Korps legten am Denkmal „Die Tragende“ am Ufer des Schwedtsees Kränze und Blumen nieder.

Ministerpräsident Dietmar Woidke: „Hier in Ravensbrück wurde zehntausenden Menschen, darunter vor allem Frauen und Kindern, unendliches Leid zugefügt. Den Opfern von damals können wir nicht zurückgeben, was ihnen genommen wurde. Aber wir können und müssen uns immer wieder gegen das Vergessen stellen. Aus der Vergangenheit lernen heißt, einzustehen für Mitmenschlichkeit, Toleranz und ein friedliches Miteinander sowie gegen Hass und Hetze. Deshalb stellen wir uns aktiv gegen jede Form von Diskriminierung und gegen Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und die Ausgrenzung von Minderheiten. Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gehört die Verpflichtung, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen. Jüdinnen und Juden müssen sich überall in Deutschland sicher fühlen können.“

Gedenkstättenleiterin Andrea Genest: „Für die Überlebenden und die Nachkommen der KZ-Häftlinge wie auch für alle von uns, die heute zusammengekommen sind, ist das Gedenken nicht zu einem Ritual geworden, wie es vielfach kritisiert wird. Wir werden heute am Mahnmal Kränze niederlegen und Rosen in den See legen – in Erinnerung an jene, die wir kannten, von denen wir hörten, die uns vielleicht aber auch unbekannt blieben. Eine solche Form des Gedenkens kann uns noch einmal vor Augen führen, warum die Arbeit an den Gedenkstätten wichtig ist: Sie geht von den konkreten Verbrechen an diesem Ort aus. Sie vermag es, kritisches Geschichtsbewusstsein mit der klaren Absage an Antisemitismus, Rassismus und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu verbinden. Damit sind Gedenkstätten weiterhin zentrale Bestandteile unserer demokratischen und selbstreflexiven Erinnerungskultur.“

Ambra Laurenzi, Präsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees: „Wir würden unseren Müttern keine Ehre erweisen, wenn wir diesen Gedenktag nur als eine Erinnerung an ihre tragische Erfahrung betrachten und nicht versuchen, das feierliche Versprechen, das sie uns hinterlassen haben, in seiner Gänze zu verstehen. Denn es enthält eine wichtige Mahnung, die wir auch heute noch mit Beharrlichkeit verfolgen müssen. Wir alle müssen uns Gedanken machen, wie es um diese schwere Zeit steht und was die beiden Kriege – der erste seit über zwei Jahren in der Ukraine und der zweite seit über sechs Monaten in Israel und im Gazastreifen - noch mit sich bringen werden. Wir sind uns bewusst, dass aus Krieg und Zerstörung keine auf eine friedvolle Zukunft ausgerichtete Gesellschaft entstehen kann. Im Gegenteil: Diese Kriege sind der Nährboden für Rache, Streit und weitere Kriege. Wir kennen die Ursachen und Hintergründe für den zweiten Weltkrieg, der den Ort hervorgebracht hat, an dem wir heute stehen. Und deshalb sind wir auch beunruhigt über den wachsenden Autoritarismus in Europa, der immer mehr Unterstützung findet.“

Barbara Piotrowska, die nach dem Warschauer Aufstand im Oktober 1944 mit ihrer Mutter nach Ravensbrück verschleppt wurde: „Unsere Generation der Überlebenden verlässt uns, je lauter der Ruf wird: ‚Das darf nicht vergessen werden‘. Auf der polnischen Gedenktafel in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück steht: ‚Wenn das Echo ihrer Stimmen verstummt - werden wir untergehen‘. Dies ist eine Botschaft für künftige Generationen. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg reicht offenbar nicht aus, um der militärischen Gewalt heute Einhalt zu gebieten. Im Europa des 21. Jahrhunderts, gleich nebenan von Polen, trauern Tausende von Menschen um den Tod geliebter Menschen als Folge der russischen Aggression gegen die Ukraine. Sie werden ihr Leben neu beginnen, ihre Häuser und ihr Land wieder aufbauen. Nur wann?“

Richard Fagot, der als Neunjähriger im November 1944 mit seiner Mutter in das KZ Ravensbrück gelangte und im April 1945 im KZ Sachsenhausen befreit wurde: „Wir haben überlebt, meine Mutter und ich; nicht viele hatten das Glück. Auch mein Vater überlebte und wir trafen nach dem Krieg die restlichen Scherben der Familie. Wir haben uns ‚Nie wieder!‘ geschworen. Das war nicht nur ein privates, es war ein kollektives Gelübde. Wo ich derzeit wohne, überfiel eine blutrünstige, bestialische Terrororganisation vor etwa einem halben Jahr brutal die an Gaza angrenzenden Kibbutz-Dörfer. Israel hat mit einem Gegenangriff geantwortet, dessen Ziel es ist, alle Geiseln zu befreien und die Hamas-Isis Terrororganisation zu entkräften. Und wie reagiert die Welt? Erstaunlich: das Opfer wird des Völkermords beschuldigt. Nur ein Buchstabe unterscheidet Fakt von Fake, eine bösartige, maligne Mutation, die sich in den sogenannten sozialen Medien ausbreitet, aber eine Gefahr für die Zukunft der westlichen Welt ist. Ohren und Augen offenhalten, kritisch und aufrichtig denken, ist nicht nur anständig und fair, es hilft, die drohenden Gefahren im Keim zu erkennen und ihnen zu entgehen. Die Vergangenheit zu vergessen und wegzuschauen bahnt den Weg zur Wiederholung der Ereignisse, die sich hier vor etwa 80 Jahren abspielten. Das darf nie wieder geschehen. Darin liegt die Wichtigkeit unserer heutigen Anwesenheit an diesem Ort.“

Die Autorin und Journalistin Lena Gorelik sagte mit Blick auf alle Menschen, die heute „von Rassismus betroffen sind, von Muslimfeindlichkeit, die anders aussehen, anders glauben, anders lieben, deren Körper anders sind“: „Ich stehe 2024 hier, und ich weiß, dass die Ängste, die diese Menschen haben, nicht neu sind. Es sind dieselben Ängste, von denen die Frauen von Ravensbrück erzählen könnten. Die Ängste sind nicht neu, und dass sie nicht neu sind, macht sie noch größer. Es macht sie realer, weil wir uns erinnern können, wir hatten nicht die Möglichkeit zu vergessen, abzulegen, mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben.“

Hintergrund:
Zwischen 1939 und 1945 wurden im KZ Ravensbrück über 120.000 Frauen, 20.000 Männer und etwa 1.000 weibliche Jugendliche des „Jugendschutzlagers Uckermark“ als Häftlinge registriert. Die Häftlinge stammten aus über 40 Nationen, darunter zahlreiche Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma. Zehntausende wurden ermordet oder starben an Hunger, Krankheit oder durch medizinische Experimente. Nach dem Bau einer Gaskammer Anfang 1945 wurden rund 6.000 Häftlinge von der SS vergast. Ende April 1945 trieb die SS zehntausende Häftlinge auf Todesmärsche in Richtung Nordwesten. 3.000 im Hauptlager zurückgelassene Kranke wurden am 30. April 1945 durch die Rote Armee befreit.

 

Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
Straße der Nationen | 16798 Fürstenberg an der Havel

 

Information: www.ravensbrueck-sbg.de

 

Verantwortlich:
Dr. Horst Seferens | Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit | Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
16515 Oranienburg | Heinrich-Grüber-Platz | T +49 3301 810920
seferens(at)stiftung-bg.de | www.stiftung-sbg.de


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